20 Punkte zur Ausrichtung der literarischen Bildung zur Umsetzung des aktuellen Rahmenplans der Kulturellen Bildung Berlin (2016). Offener Brief der Poetischen Bildung am Haus für Poesie
- Die literarische Bildung ist aus unserer Sicht die wichtigste Kulturelle Bildung. Nur die literarische Bildung ermöglicht in unserer schriftgeprägten Umwelt aktive Teilhabe. Leseverständnis- und Schreibkompetenz sind entscheidend für späteren beruflichen und gesellschaftlichen Erfolg. Daher muss der literarischen Bildung zukünftig noch größeres Augenmerk geschenkt werden.
- Die literarische Bildung muss als Querschnittsaufgabe in allen Berliner Literaturhäusern verankert werden. Dies gilt für Programm, Personal und Publikum. Sie darf sich in der Vermittlung nicht auf Kinder- und Jugendliteratur beschränken, sondern muss wie in der Musik oder der Bildenden Kunst spiegelbildlich alle Bereiche der Literatur umfassen.
- Die literarische Bildung Berlins muss sich dafür gemeinsam auf Zielvorgaben und Evaluationsmöglichkeiten im Sinne des Rahmenplans Kulturelle Bildung Berlin einigen und dadurch ihre Qualität sichern. Sie benötigt stärkere Zusammenarbeit und eine gemeinsame strategische Verankerung innerhalb der Politikfelder Kultur, Bildung und Jugend, Wissenschaft und Forschung, Stadtentwicklung, Inklusion und Integration.
- Ziel der Kulturellen Bildung ist nach dem Berliner Rahmenplan die Entwicklung des kreativen Potentials der gesamten Persönlichkeit. Die literarische Bildung sollte daher schon aus Gründen der Qualitätssicherung bei denen angesiedelt werden, die künstlerische oder textarbeitende und pädagogische Praxis auf hohem Niveau miteinander vereinen. Denn nur, wer die jeweiligen Aspekte einer Kunst auch täglich in der Praxis anwendet, kann authentisch die jeweilige Kreativität einer Kunstrichtung im Lebenszusammenhang im Sinne von lebendiger Initiation vermitteln. AutorInnen leben, lesen und schreiben anders als Wissenschaftler oder Pädagogen und machen andere Erfahrungen mit Texten und können diese Andersartigkeit auch vermitteln.
- Um den Zusammenhang zwischen Praxis und Vermittlung, der in anderen Kunstrichtungen selbstverständlich ist, auch für die Literatur besser anwenden zu können, werden umfangreiche Anstrengungen an Universitäten und Forschungseinrichtungen benötigt, um literarische Bildung zu dokumentieren, zu erforschen und zu entwickeln.
- Das Berliner Tandem-Konzept (Zusammenarbeit von jeweils einem Künstler, einer Kultureinrichtung und einer Bildungseinrichtung) ist auch in der literarischen Bildung weitgehend umzusetzen und auszubauen. Dies ist aus unterschiedlichen Gründen (hauptsächlich Ressourcenmangel) noch nicht flächendeckend geschehen.
- Zur Verbesserung der Situation sind dringend Maßnahmen zur flächendeckenden pädagogischen Ausbildung und der Ermöglichung von Praxis von SchriftstellerInnen, JournalistInnen, IllustratorInnen, LiteraturübersetzerInnen und LiteraturkritikerInnen nötig, um einen Dozentenstamm für die Vermittlung sowohl rezeptionsästhetischer wie auch produktionsästhetischer Kompetenzen aufbauen zu können. Der Kulturelle Rahmenplan Berlin sieht dafür vor, dass SchriftstellerInnen durch ihr Studium oder ihre Ausbildung besser auf die besonderen Herausforderungen von Kooperationen vorbereitet sind, daher sollte es bereits im Studium der Künste und Gestaltung möglich sein, Schwerpunkte im Feld der Vermittlung zu setzen. Hierfür werden zusätzliche Förderungen und Stipendien benötigt.
- Ebenso ist für die Umsetzung des Rahmenplans eine enge Zusammenarbeit mit Studierenden der Kindheitspädagogik sowie der Sozialen Kulturarbeit und den künstlerischen Hochschulen sowie der Universität der Künste Berlin geboten. Alle Literaturhäuser sollten sich für Studierende als Praxisstellen zur Verfügung stellen können und Angebote zur Ausbildung bereithalten. Hierfür wird vom Personal der Literaturhäuser umfangreiche pädagogische Fortbildung (universitär oder durch die IHK) benötigt. Zusätzlich werden Masterstudiengänge angrenzender Zweige für die Vermittlung außerschulischer literarischer Bildung benötigt.
- Der Rahmenplan Kulturelle Bildung sieht außerdem vor, dass zukünftig nachhaltige Beziehungen, Kooperationen und Formate mit Berliner Bildungsträgern eingegangen werden. Schulen und Kitas, die noch nicht „im System“ sind, brauchen sehr viel mehr Hilfe und Unterstützung, um in den Genuss außerschulischer literarischer Bildung zu kommen. Hierfür braucht es neue Instrumente, Personal und unkompliziertere Förderung. KulturagentInnen und Kulturbeauftragte müssen in den Schulen und Kitas flächendeckend integriert werden. Diese KulturagentInnen müssen zur Umsetzung des Rahmenplans zukünftig besser ausgebildet werden, um hochqualitative Netzwerke bilden zu können. Honorierte „Residencies“ in Schulen und Kitas müssen flächendeckend auch für SchriftstellerInnen und ÜbersetzerInnen geschaffen werden.
- Die literarische Bildung Berlins muss außerdem die existierende Diversität und Bibliodiversität in der Literaturlandschaft abbilden und marginalisierte Formen (wie etwa Lyrik, Übersetzung und Kritik) bewusst fördern. Dies wird mit den derzeitigen Instrumenten nicht erreicht. Daher wird unter anderem nahegelegt, den Bereichen „Erzählzeit“ und „Theater“ weitere Instrumente (für Sachtexte, Übersetzung, Kritik und Lyrik) hinzuzufügen.
- Die literarische Bildung muss in einer Welt, die durch Globalisierung, Migration und Wandel geprägt ist die Forderungen des BKM nach Diversität in den drei „Ps“ (Programm, Personal und Publikum) sowie Sprachvielfalt abbilden, nachweisliche Kompetenzen in allen Fragen interkultureller und interreligiöser Arbeit aufweisen sowie integrativ und diskriminierungsfrei im Sinne der „Offenen Stadtgesellschaft“ sein. (Siehe Forderungen nach Förderung „internationaler Literatur“, dies gilt es spiegelbildlich auch in der literarischen Bildung anzuwenden.) Die Arbeit an Affirmation und Differenz, die im Rahmenplan gefordert werden, kann authentisch nur von Menschen geleistet werden, die dieses Spannungsfeld selbst erleben. Für NichtmuttersprachlerInnen in Personal und Publikum und müssen dringend eigene Formate entwickelt werden. Der Rahmenplan fordert hier Diversität, Transkulturalität und Partizipation auf allen Ebenen ein.
- Die literarische Bildung Berlins sollte aus Sicht des Rahmenplanes Kulturelle Bildung geschlechtergerecht aufgesetzt werden. Zur Zeit wird sie zu ungefähr 80% von Frauen geleistet. Dadurch wird nur ein Bruchteil möglicher Identifikation bei den Zielgruppen erreicht. Der Diskurs über gesellschaftlichen Wandel aus unterschiedlichen Perspektiven ist damit nicht gegeben.
- Die literarische Bildung Berlins muss für die Umsetzung des Rahmenplanes wesentlich enger mit der „Freien Szene“, also den Berliner SchriftstellerInnen als der lokalen Literaturproduzenten und ihrer Vertretungen (NFLB, Lettretage, freie Kollektive) zusammenarbeiten. Sie muss die Vertretung auch der ProduzentInnen der jeweiligen Künste werden, das heißt, die Autorinnen müssen von den Literaturhäusern stärker in Planungs- und Durchführungsprozesse involviert und dafür auch honoriert werden. Nur so ist Teilhabe auf Augenhöhe für Kulturproduzenten möglich. Sie müssen außerdem in die Lage versetzt werden, gänzlich eigene Vermittlungsformate entwickeln zu können.
- Die Forderung nach „lebenslangem Lernen“ muss unkompliziert auch in der literarischen Bildung insgesamt möglich sein. Die literarische Bildung Berlin muss zukünftig den Rahmenplan der Kulturellen Bildung in den Bereichen transgenerative Angebote, Offene Angebote und selbstverwaltete Angebote umsetzen. Die Schranken zwischen Jugendarbeit und Erwachsenenarbeit in der Kulturellen Bildung müssen weiter aufgelöst, der demografische Wandel stärker berücksichtigt werden. Hier sind auch verstärkt Inklusionsformate, barrierearme Formate und therapeutische Formate zu entwickeln.
- Auch die Literatur hat ein genuines Recht darauf, ihren eigenen Nachwuchs strukturell zu fördern, vergleichbar mit der Förderung musikalisch begabter Kinder. Es müssen daher Mentoring- und Coachingformate geschaffen werden, Arbeitsstipendien (im Sinne von Meisterschülerunterricht, Material- und Recherchezuschüssen) sowie eine berlinweite durchgehende Ausbildungsmöglichkeit von literarisch begabten Kindern und Jugendlichen mit persönlicher Betreuung durch praktische arbeitende AutorInnen. Die jeweiligen besonderen Talente müssen von den Institutionen ebenfalls individuell beantwortet werden können. Für junge Erwachsene muss es an den Literaturinstitutionen zusätzlich Raum und Ressourcen geben für eigene, selbstorganisierte Projekte und für grundsätzliche Partizipation. Zusätzlich müssen neue Strukturen für die Jugendarbeit entwickelt werden. Z.B. strukturelle Jugendbeteiligung in den Entscheidungsgremien, beratende Kinder-oder Jugendjurys.
- Die literarische Bildung Berlins muss zur Umsetzung des Rahmenplans außerdem interdisziplinäre Formate auf Augenhöhe fördern (also für Formate der Literaturförderung nicht weiter zulassen, dass „Text“ nur als bereits vorliegendes Material von anderen Künsten genutzt wird). Literaturschaffende müssen besser in Formate der Kulturellen Bildung integriert werden. Die literarischen Institutionen müssen zur Umsetzung des Rahmenplans enger mit den Bezirken und der Stadtverwaltung, Bibliotheken, Verbänden, sowie bundesweiten Gremien und Jurys zusammenarbeiten. Es müssen zudem alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, mit anderen Bildungen kooperativ zusammen zu arbeiten. Wesentlich sind hier politische Bildung, demokratische Bildung, Antisemitismusprävention, historische Bildung sowie alle anderen künstlerischen Bildungen. Hierfür ist auch eine Öffnung hin zu und Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit unterschiedlichen Communities nötig, wie sie der Rahmenplan Kulturelle Bildung Integration des BKM fordert.
- Die literarische Bildung Berlins muss gemäß dem Rahmenplan Kulturelle Bildung ihre Institutionen nachhaltig als Lernorte zur Verfügung stellen können. Das heißt, es müssen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, mit denen kreative Umgebungen, Werkstätten und offene Aufenthaltsräume geschaffen werden können, soweit sie noch nicht vorhanden sind.
- Die Jurys der Förderinstrumente müssen zwingend spartengerecht besetzt sein und Förderung spartengerecht aufsetzen. Wenn das in absehbarer Zeit weiterhin nicht möglich sein sollte, müssen eigene Instrumente für marginalisierte Bereiche der Literatur aufgesetzt werden.
- Aus Gründen der Qualitätssicherung müssen dringend Instrumente zur Evaluation und nachhaltiger Feedbackprozesse mit den unterschiedlichen Zielgruppen aufgesetzt werden. Hierfür werden weitreichende Servicedienstleistungen benötigt. (Z.B. Infotelefone, Lehrer-Kollegs, Stammtische, Beschwerdestellen digital und schriftlich, einheitliche Feedbackbögen, Befragungen usw.)
- Die neuen Bildungs- und Vermittlungsbereiche der Berliner Literaturhäuser sollten aus Gründen produktiver Vielfalt Zeit, Personal und Möglichkeit haben, ein eigenes Profil zu entwickeln und auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten. Sehr wichtig ist an dieser Stelle, die jeweilige Vermittlungsarbeit stadtweit in einer Arbeitsgruppe zu koordinieren und gemeinsam darzustellen. Dem Publikum sollte ein Gesamtüberblick über alle Vermittlungsformate ermöglicht werden, der sowohl die Arbeit der Institutionen wie auch freier Anbieter enthält.